Bericht zur Stadtverordnetenversammlung 24.11. 2023

Es bleibt spannend beim Thema Verkehrswende in Marburg – Stillstand oder Bewegung
Nach wie vor ist das Thema, wie weiter mit MoVe 35 das alles bestimmende Thema in Marburg, so
auch in der letzten Stadtverordnetenversammlung. Es gab bei dieser nur zwei Themen mit
Aussprache, nämlich der Umgang mit bzw. der Frage nach einer Zulässigkeit des Bürgerbegehrens
und der Überraschungs-Coup des Oberbürgermeisters am Ende der Debatte für alle Anwesenden
überraschend, für ein Vertreterbegehren zu werben. Erfreulich hingegen ist, dass endlich die
Richtlinien für den Stadtpass jetzt Teilhabepass auf den Weg gebracht wurden.
Kommt ein Bürgerbegehren – gibt es einen gemeinsamen Vorschlag?
Die Aussprache rund ums Thema „Move 35“ und ob ein Bürgerentscheid kommt, wurde von unserer
Fraktionsvorsitzenden Tanja Bauder-Wöhr eröffnet. Sie erinnerte an den Klimanotstandsbeschluss
von 2019, welcher eine klimafreundliche Ausrichtung von MoVe35 anwies. Jetzt kommt es darauf an
endlich in die Umsetzung zu gehen. Es geht darum unsere Stadt erreichbar zu machen für alle,
gleichberechtigt und in angemessenen Zeiten. Neben schnellen Radverkehrswegen, auch schnellere
und vor allem verlässliche Busverbindungen.
Aber es gilt auch, gerade auf der linken Seiten vertretenen Parteien haben sich immer stark gemacht,
die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen. Jetzt haben in Marburg knapp 7000
Menschen für ein Bürgerbegehren unterschrieben – das sind fast 10% Marburgs Bevölkerung, da
kann man sich doch nicht hinter juristischen Formalien verstecken! Denn das Bürgerbegehren soll
mehrheitlich aufgrund rechtlicher nicht Zulässigkeit abgelehnt werden. Dabei muss doch die
Fragestellung lauten: Wie kommen wir wieder in den Dialog, wie überzeugen wir und räumen
„falsche“ Befürchtungen aus? Wie kann bei unstrittigen Planungen schon jetzt mit der Umsetzung
begonnen werden?
Die Vertreter:innen der Klimakoalition begründen ihre Sichtweise für die ablehnende Haltung
gegenüber dem Bürgerbegehren vor allem mit dem vorgelegten Rechtsgutachten, welches die
Unzulässigkeit attestiert. Außerdem sei das Move Konzept zu komplex für eine einfache „Ja“ oder
„Nein“ Fragestellung.
Die bürgerliche Fraktion CDU/FDP/BFM fordert vor allem die Veröffentlichung des Rechtsgutachtens.
Für uns führte Jan Schalauske aus, dass wir den Inhalt des Bürgerbegehrens ablehnen, jedoch
liegen über 6000 Unterschriften auf dem Tisch und er verweist auf das jahrelange Unterstützen der
Forderung, Bürgerbegehren zu erleichtern u.a. durch die Partei DIE LINKE. Keinen Zweifel ließ er
darüber aufkommen, dass die Marburger Linke hinter Move 35 steht. Für ihn ist klar: „Die
Verkehrswende ist kein Selbstzweck, sondern aus sozialen und ökologischen Gründen dringend
erforderlich.“
Unser Ziel ist eine Stadt, in der Jede und Jeder unabhängig vom Geldbeutel mit dem Öffentlichen
Nahverkehr unterwegs sein kann, in der Rad- und Fußgänger endlich einen so großen Anteil am
öffentlichen Verkehrsraum haben, dass sie gut und sicher am Verkehr teilnehmen können. So, dass
niemand mehr auf ein PKW angewiesen sein muss.
Die Verkehrswende ist auch eine notwendige Antwort auf die menschengemachte Klimakrise. Auch
haben Lärm und Abgase eine soziale Dimension. Menschen mit geringem Einkommen wohnen
häufiger an belasteten Straßen und würden von der Verkehrswende profitieren. Außerdem griff er
die CDU scharf an: „Offensichtlich gibt es Sorgen und Ängste in der Bevölkerung. Wenn Ihre Fraktion
das sagt, muss sie sich ehrlicherweise aber selbst fragen, welchen Beitrag sie geleistet hat, dass dieseÄngste überhaupt erst entstanden sind. Wenn Dirk Bamberger bei MOVE 35 einen „diabolischen
Kulturkampf gegen das Auto“ beklagt hat, dann muss ich ihm entgegenhalten, dass in Wirklichkeit
seine Fraktion Hand in Hand mit finanzstarken Wirtschaftsinteressen einen heftigen und teilweise
faktenfreien Kulturkampf von rechts gegen die Verkehrswende geführt hat. Damit haben Sie den
Zielen einer Mobilität für alle und der Eindämmung der Klimakrise einen Bärendienst erwiesen.“
Unsere Sichtweise wie jetzt weiter zu verfahren ist begründete Jan Schalauske dann auch. Es wäre
der Sache mehr gerecht geworden und im Übrigen mit Recht und Gesetz auch vereinbar, wenn der
Magistrat, die Stadtverordnetenversammlung und die Initiator:innen gemeinsam einen geeigneten
Umgang gefunden hätten, etwa eine offizielle Bürgerversammlung oder Bürgerbefragung
durchzuführen.
Zur aller Überraschung und vor allem zu großem Unmut innerhalb des Regierungslagers, führte der
Vorstoß des Oberbürgermeisters bis zum Ende des Jahres ein Vertreterbegehren durch die
Stadtverordneten auf den Weg zu bringen.
Teilhabepass – endlich werden die Richtlinien angepasst
Unter dem Tagesordnungspunkt Kenntnisnahme der angepassten Richtlinien zum Teilehabepass
(vormals Stadtpass) führte unser Sozialexperte Roland Böhm für die Marburger Linke aus, dass die
Richtlinien in die richtige Richtung gehen, der Paradigmenwechsel von einem festen Zuschussbetrag
hin zu einem festen Abgabepreis ist gut; er spart allen Beteiligten das unwürdige Feilschen um
Zuschusserhöhungen bei steigenden Preisen. Ebenfalls zu begrüßen ist, dass neben den
Bezieher:innen von Bürgergeld, Grundsicherung, Hilfe zum Lebensunterhalt und Asylgeld jetzt auch
beim Bezug vom Wohngeld eine Berechnung der Einkommensverhältnisse entfällt. An dieser Stelle
möchten wir uns auch herzlich für die Argumentationshilfe und statistisch wertvolle Aufbereitung
unseres langjährigen Magistratsmitglied Nico Biver bedanken.
Aber natürlich ist nicht alles Gold, was glänzt: In den Richtlinien stehen als Bemessungsgrenze auf
Beschluss des Magistrats die im Juli geltenden Sätze des Bürgergelds – wobei man sich übrigens beim
Satz für die Lebenspartner:innen um 50 Euro zu deren Ungunsten vertan hat. Die Bürgergeldsätze
wurden aber Ende August von der Bundesregierung um durchschnittlich 12 Prozent erhöht. Das
heißt, die Richtlinien müssen unbedingt wieder geändert und die Bemessungsgrenzen entsprechend
erhöht werden. Alternativ müsste in die Richtlinien ein Hinweis auf automatische Anpassung.
Natürlich wird nicht – wie im Koalitionsvertrag vorgesehen – für den ÖPNV ein Nulltarif eingeführt. Da
aber weiterhin die Monatskarten bezuschusst werden, liegen durch die Erhöhungen die
veranschlagten Kosten bei 2 Mio. Euro, genauso viel wie schon im Haushalt 2022 für den Nulltarif
vorgesehen waren. Der Einstieg in den kostenlosen ÖPNV für die Teilhabepassberechtigten ist
schlicht nicht gewollt.
Leider scheint man in Marburg nach dem Motto zu verfahren, den Armen soll es nicht zu gut gehen.
Das lässt man sich was kosten. Inzwischen gibt es so viele Gruppen von Menschen, die für sie
kostenfrei – oder deutlich günstiger – den ÖPNV nutzen. Es kann doch nicht sein, dass z. B.
Stadtverordnete wie ich für etwa 12 Euro monatlich (143,40 Euro jährlich) mit einer Jahreskarte
durch die Stadt fahren können, während Teilhabepassinhaber:innen dafür 240 Euro jährlich bezahlen
und dafür auch noch jeden Monat zu den Stadtwerken hingehen müssen. Klüger und billiger für die
Stadt wäre es natürlich, dass die Stadt wie beim Jobticket für ihre Beschäftigten, für die
Teilhabepassinhaber:innen einen ähnlichen Vertrag mit dem RMV abschließen und dann für die
entstehenden Kosten aufkommen würde.Eine ereignisreiche StVV ging ansonsten sehr einmütig auseinander, Themen wie Ankauf eines
Verwaltungsgebäudes (technische Rathaus), B-Plan für Vinzi-Dorf, behindertengerechte
Erreichbarkeit Oberstadt, Glasfaserausbau wurden einstimmig beschlossen. Auch beider Besetzung
Ortsgericht I herrschte große Einigkeit.

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