Die letzte Sitzung des Marburger Stadtverordnetenversammlung im Jahres 2022 befasste sich mit dem Zahlenwerk des städtischen Haushaltes für das kommende Jahr 2023.
In der Haushaltsdebatte sprachen für die Marburger Linke die neugewählte Fraktionsvorsitzende Tanja Bauder-Wöhr sowie die Stadtverordneten Roland Böhm und Inge Sturm.
Bezahlbarer Wohnraum
Auf Grundlage des Marburger Armutsberichts und der in diesem Jahr veröffentlichten Milieustudie in Marburg analysierte sie zunächst die Schwachstellen unserer Stadt, um dann mit Vorschlägen aufzuwarten, wie man der Energie- und Inflationskrise trotzen kann und Dank der erneut hohen Gewerbesteuereinahmen langfristig endlich im Bereich bezahlbaren Wohnens für alle vorankommen kann. Diese ohnehin schon herausfordernde Aufgabenstellung obliegt zusätzlich noch ökologischen Aspekten. Denn der Klimawandel macht sich auch in Marburg stark bemerkbar. Die Marburger Linke will unter CO2 einsparenden Baumaßnahmen neue Wohnungen in Auftrag geben, gleichzeitig im Bestandswohnungsbau ökologisch und dabei vor allem warmmietenneutral sanieren. Denn eine weitere Kostenexplosion in Folge von steigenden Nebenkosten kann sich niemand mehr leisten, unser Klima erst recht nicht.
Ein phantasieloses „weiter so“
Die Marburger Linke stellte fest, der Entwurf des Kämmerers ist in weiten Teilen ein phantasieloses „weiter so“. Zwar werden erhöhte Investitionen angekündigt, aber wir haben den Eindruck, dass lediglich die bereits geplanten Projekte fortgeschrieben werden. Zu den zentralen Aufgabenstellung einer Stadt gehören Investitionen in Infrastruktur, insbesondere in Schul- und Kitagebäude, Straßenbau, Sozialwesen und Planungen für nachhaltige Klimapolitik wurden mehrfach schlicht die Zahlen vom Vorjahr fortgeschrieben. Neue oder unkonventionelle Themen fehlen völlig. Ebenso enthält der bisherige Entwurf auch keinerlei Reaktion auf die immer dringlicher werdenden ökonomischen Probleme eines steigenden Teils der Bevölkerung. Dafür wird – und täglich grüßt das Murmeltier seit 2017 – wieder mal ein nur an Worten markiges KiBaP (Bauprogramme für Kitas) versprochen.
Änderungsvorschläge zum Haushalt
Änderungsschwerpunkte von Seiten der Marburger Linke betreffen die Bereiche
Soziales, Bauen & Wohnen, Verkehr und ökologische Transformation. Hier soll, geht es nach der Marburger Linke deutlich mehr Geld ausgeben werden. Im Gegenzug wollen wir denen, die in und an der Krise gut verdient haben, einen Teil der Übergewinne nehmen, um das Geld wieder von
oben nach unten umzuverteilen. Konkrete Vorschläge sind: Die Gewerbesteuer soll wieder auf 400 Punkte angehoben werden. Die Rückkehr zum alten Hebesatz von 2021 – vor der erpressten Senkung in diesem Jahr – würde ca. 39 Mio. Euro Mehreinnahmen bedeuten.
Marburger Sozialfonds
Im Bereich Soziales fordert die Marburger Linke mit dem Sozialfonds etwas, das es bisher in Marburg noch nicht gegeben hat. Mit 8,5 Mio. Euro soll dieser so groß sein, dass daraus unbürokratisch, flexibel und schnell, verschiedenste Maßnahmen unterstützt bzw. angestoßen werden können. Über Gutscheine für energiesparende Geräte, Verhinderung von Strom-, Gas- oder Wassersperren bis hin zu Wohnraumschutz soll hier einfach und schnell geholfen werden.
Unser Experte im Bereich Soziales, Roland Böhm, veranschaulichte den Stadtverordneten die großen Vorteile eines Sozialfonds: „In Marburg etwas Neues, in anderen Städten bereits etabliert. Und die Idee hat ja was: Wir alle wissen – Stand heute – nicht, bei wem genau wo und wie im nächsten Jahr nicht selbst lösbare Probleme auftreten, die auch nicht durch Landes- oder Bundesmittelprogramme aufgefangen werden. Aber die Betroffenen brauchen umgehend Hilfe, ebenso die Organisationen, die diese Menschen bei der Krisenbewältigung unterstützen/beraten.“ Daher sollte die Verwaltung der Stadt die finanzielle und personelle Ausstattung haben, um für solche Szenarien gewappnet zu sein. Im kommenden Jahr wird der städtische Sozialausschuss eine Expert:innenanhörung durchführen, um tiefer in die Analyse und Problembewältigung einzusteigen. Die „Initiative für ein solidarisches und soziales Marburg“ hatte bereits im November allen Fraktionen einen offenen Brief geschrieben und schon sehr konkrete Vorschläge gemacht.
Daneben führt die steigende Armut auch zu erhöhter Nachfrage bei der Sozial- und
Schuldnerberatung.
Gemeinwesenarbeit unterstützen
Um die seit Jahren gewachsenen Strukturen in der Gemeinwesenarbeit zu unterstützen, hat die Marburger Linke in der Stadtverordnetenversammlung vorgeschlagen, eine zentrale Anlaufstelle in Marburg zu schaffen. Diese soll u.a. eine Sozial-, Schuldner- und Insolvenzberatung vorsehen und wenn möglich einen Sozialratgeber – ein Programm mit allen vorhanden Hilfs- und Beratungsangeboten – erstellen und der Marburger Bevölkerung aushändigen.
Umsetzung der Ziele des Koalitionsvertrags
Ansonsten zielen die Änderungsanträge vor allem darauf ab, im Koalitionsvertrag vereinbarte
Ziele endlich anzugehen. Nach über einem Jahr Koalition gibt es immer noch keinen
kostenfreien ÖPNV für Stadtpassinhaber, keinen Armutsbeauftragten, kaum neue
Sozialwohnungen oder neue, umweltfreundliche Solaranlagen auf privaten wie öffentlichen
Dächern oder Windräder. Was es gibt, sind Papiere, teure Gutachten usw.
Ausstattung der städtischen Töchter statt Investitionen in den Kapitalmarkt
Es wird viel Zeit, Energie und Geld in den Versuch investiert, das vorhandene Geld am
Kapitalmarkt zu investieren statt es etwa in den oben genannten Bereichen zu investieren
und damit allen Bürger:innen zugutekommen zu lassen. Daher fordert die Marburger Linke den städtischen Töchtern die dafür notwendigen finanziellen Mittel von jeweils 10 Mio. € zur Verfügung zu stellen. Zur großen Freude von Tanja Bauder-Wöhr: „haben wir wahrgenommen, dass dieses Ansinnen auch beim Magistrat angekommen ist und Anfang der Woche bereits 11 Mio. € an die städtische Wohnbaugesellschaft (GeWoBau) überwiesen wurden. Wir sehen unsere Ideen sind richtig und werden aufgegriffen!“
Der Stadtentwicklungsgesellschaft (SEG) wollen wir die Gelder zukommen lassen, um Grund und Boden zu erwerben und zu entwickeln.
Den Stadtwerken um für Preisstabilität bei Strom, Gas und Wasser zu sorgen. Um den Einstieg in den ÖPNV Nulltarif in die Wege zu leiten. Um erneuerbare Energiegewinnung vor Ort auf Dächern und Flächen umzusetzen.
Vorankommen in der Verkehrswende
Inge Sturm Vertreterin der Marburger Linke im Mobilitätsausschuss vertiefte die Forderungen in der Verkehrswende vorwärts zu kommen. Sie führte aus warum der kostenlose ÖPNV für alle ein großer Schritt in die richtige Richtung ist. Denn durch unsere enge Innenstadt müssen sich bei attraktiven und kostenlosen ÖPNV weniger Autos schlängeln. Damit gibt es weniger Gestank und weniger Lärm in der Stadt, der Bus kommt schneller hindurch. Es gibt keine Staus aber neue Möglichkeiten für attraktive Innenstadtgestaltung. Hierbei hat die Marburger Linke mit „Fridays for Future“ Marburg eine breite Unterstützer:innen Gruppe zusätzlich hinzu gewonnen. Deshalb ging Inge Sturm auch hart ins Gericht mit der Politik des Oberbürgermeisters und der Koalition: „Nach einem Jahr zeigen sie nicht den geringsten Willen den ÖPNV für die Marburger:innen kostenlos anzubieten – null Interesse. Trotz Klimanotstand. Da zeigt sich, wie ernst sie es mit dem Klimaschutz meinen“.
Schülerbeförderung für alle in ganz Hessen
Ein ebenfalls sehr wichtiges Anliegen der Marburger Linke ist es endlich zu erreichen, dass die ungerechte 2-/3- Kilometer-Regelung im ÖPNV bei der Schülerbeförderung entfällt. Während die einen in ganz Hessen mit dem subventionierten Ticket fahren können, schauen die anderen sprichwörtlich in die Röhre.
Situation von Kindern und Jugendlichen
Besonderes Augenmerk muss bei der Situation von Kindern und Jugendlichen liegen, so Roland Böhm. Unsere Kinder und Jugendlichen sind unwidersprochen durch Corona am meisten benachteiligt. Es wäre nur gerecht, ihnen jetzt mehr Möglichkeiten zu bieten,
Versäumtes nachzuholen. Also: kostenloser Zugang zu kulturellen Veranstaltungen oder freier
Eintritt ins Schwimmbad Aquamar, verbilligte Sportmöglichkeiten, Finanzierung des Schülertickets für alle! Letzteres wäre, gemeinsam mit kostenlosem Mittagessen an Schulen, ein großer Beitrag zur Einebnung sozialer Ungerechtigkeiten. Im Jugendhilfeausschuss wurde deutlich, dass wir die nächsten Jahre ganz viele neue Erzieher:innen sowohl als Ersatz für Rentner:innen und Berufsabbrecher:innen als auch zusätzlich wegen steigender Anforderungen brauchen werden. Hier sehen wir dringenden städtischen Handlungsbedarf, was nützen neue Kitas, wenn es kein Personal gibt. All das lässt sich problemlos finanzieren. Wir müssen nur loslegen, denn: Machen ist wie reden, nur krasser!
Rückführung des Universitätsklinikums
Die Marburger Linke spricht sich für eine Rückführung des privatisierten Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM) auf Grundlage des juristischen Gutachtens aus, welches gemeinsam von der Rosa Luxemburg Stiftung, von der Gewerkschaft ver.di und der Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag in Auftrag gegeben wurde und eine Vergesellschaftung rechtlich für machbar hält. Nicht zu vergessen die vielen Unterstützerinnen der Petition und die erneuten Kämpfe der Beschäftigten für bessere Arbeitsbedingungen, für mehr Personal und für einen Tarifvertrag der Entlastungen! Eindrücklich vorgetragen die verzweifelten Berichte der Beschäftigten am UKGM durch alle Bereiche hindurch, sei es das Pflegepersonal, die Ärzte, die Codierer, die Beschäftigten aus dem Bereich Service, der Reinigung usw. – sie alle geben ihr Bestes, gehen über die eigenen Belastungsgrenzen hinaus. Das entspricht nicht dem ganzheitlichen Gesundheitsbild – es hinterlässt Spuren, für die Beschäftigten im Klinikum, vor allem auch für deren psychische Gesundheit, ohne Frage ist die Patientenversorgung fachlich hochklassig! Im Vordergrund muss die Genesung der Patienten stehen, leider wird nach Zeit ist Geld verfahren und das so wichtige Zwischenmenschliche bleibt wegen Profitinteressen auf der Strecke! Das wollen wir alle beendet wissen – gehen wir hier weiter gemeinsam nach vorn, auch auf ungewöhnlichen Wegen – Für unser Klinikum, für unser aller Gesundheit – wir sind es Wert!
Finale Abstimmung
Letztlich stimmte die Marburger Linke den Änderungsanträgen zum Haushalt durch die Koalition und Magistrat zu, denn sie sind kleine Schritte in die richtige Richtung, verbessern den ursprünglichen Haushaltsentwurf erheblich. Das Gesamtwerk hingegen wurde aufgrund der vorgetragenen Kritik von uns daran abgelehnt. Bemerkenswert: alle Stadtverordneten sprachen sich einstimmig für die Entwicklung Verkehrsknotenpunkt Mitte mit Busbahnhof aus.
Marburger Linke Haushaltsanträge
- Einführung Sozialfond 8,5 Mio. €
- Zuschuss für Stadtpassinhaber 6 Mio. €
- Geförderter Wohnungsbau + Mietendeckel 12 Mio. €
- An die städtischen Töchter Gesellschaften jeweils 10 Mio. €
- Rücklage für Rückführung UKGM 100 Mio. €
- Schülerjahresticket für alle + Mittagstisch für alle Schüler:innen 5,2Mio. €
- Klimabonus 10 Mio. €
- 100 Dächerprogramm Photovoltaik und Solarthermie 500.000 €
- Neubau Sporthalle 3,5 Mio.€
- Kinderspielplätze (dabei inklusive Spielgeräte anschaffen) 4 Mio. €
- Erhöhung der Gewerbesteuer auf 400 Punkte entspricht dem Stand von 2021
Mit großer Einstimmigkeit sind die Anträge des Kinder- und Jugendparlaments verabschiedet worden.
Im Anschluss an die Stadtverordnetenversammlung traf man sich in gemütlicher Geselligkeit bei Speis und Trank und lies fraktionsübergreifend das parlamentarische Jahr ausklingen.
Wir wünschen Gesundheit, erholsame Feiertage und einen guten Start in ein hoffentlich friedliches Jahr 2023.
Tanja Bauder-Wöhr, Anja Kerstin Meier-Lercher, Renate Bastian, Roland Böhm, Miguel Sanchez, Jan Schalauske, Inge Sturm.