In der Märzsitzung setzte sich ein seit Ende letzten Jahres zu beobachtender Trend fort: Die
Koalitionsfraktionen gehen – zumindest was Aktivitäten wie Anträge und/oder Anfragen angeht –
nahtlos vom Winterschlaf in die Frühjahrsmüdigkeit über, sprich: Im Januar und Februar gab es
jeweils noch je einen Antrag der Koa, im März gar keinen mehr. Ähnlich der Verlauf bei den
kleinen Anfragen: Im März 24 Stück, davon je acht von uns bzw. der CDU/FDP/BfM, fünf von der
Linken und je eine von SPD, Grünen und AfD.
Inhaltlich begann die Sitzung mit dem alljährlichen Bericht des Ausländerinnenbeirats. Beeindruckend die Vielzahl der Aktivitäten, aber neben dem Lob für die allgemeine Unterstützung gab es auch deutliche Kritik am Magistrat: Zu wenig Ganztagskitaplätze mindern deutlich die Chancen von Frauen aus anderen Ländern, Deutsch zu lernen und Arbeit zu finden. Auch die Willkommenskultur ist verbesserungsfähig: Leichterer Zugang zum Arbeitsmarkt und mehr Informationen in Leichter bzw. einfacher Sprache würden zu schnellerer Integration führen. Viel Applaus und viele Hausaufgaben für den Magistrat.
Görzhausen IV – ja oder nein
Die erste Aussprache des Abends verfolgten viele Dagobertshäuser Bürgerinnen. Für die
Marburger Linke & Piraten begründete Tanja Bauder-Wöhr unsere Ablehnung: Görzhausen III,
Beltershäuserstraße, Hasenkopf, Oberer Rotenberg: „es kann doch nicht sein, das auf den
Klimanotstandsbeschluss eine Grünflächenbebauung nach der nächsten folgen soll“, sie führt
weiter aus es scheine dem Magistrat trotz bereits hoher Gewerbesteuereinnahmen um
Wachstumsideologie zu gehen, die Folgen für Natur und Bewohner schlicht ignoriert. Denn „es
wird ja auch nicht beim Platz für die Firmen bleiben, da es mehr Wohnraum, Kitas, Schulen und
Verkehrsanlagen brauchen wird, diese Spirale an immer mehr Flächenfraß hat gerade Marburg
nicht nötig!“. Zudem verdeutlicht sie, dass es dringend einer neuen Steuerpolitik im Bund und Land
bedarf, „denn mit Steuerdumping Firmen nach Marburg zu locken und die Kommunen
gegeneinander auszuspielen darf so nicht weitergehen!“ Es wird leider sicherlich nicht die letzte
Debatte dazu sein, dennoch nochmal deutlich: „Marburg und sein Umland sind eine schöne und
lebenswerte Gegend, die Menschen bringen sich mit viel Engagement, Charme und Witz ein,
greifen wir ihre Anliegen sorgfältig auf. Bürgerbeteiligung wächst immer gemeinschaftlich von
unten, lässt sich nicht von oben überstülpen. Wir wollen ein gedeihliches Miteinander, im Einklang
mit der Natur. Deshalb keine weitere Nachverdichtung und Ausbau des Pharmastandorts. Keine
weiteren Lärm- und Schadstoffemmissionen, sondern Schutzmaßnahmen für das Trinkwasser, ein
auskömmliches Mikroklima, für unser aller Gesundheit mit frischer Luft und zumindest
gelegentlicher Ruhe.“
SPD und Grüne unterstützten den Magistrat und spielten in ihren Beiträgen die
Realisierungschancen herunter, es sei ja nur „eine Potenzialfläche“ und im Gegenzug würde ja
dann die Gewerbefläche in Moischt wegfallen. Offensichtlich bringt Moischt mehr
Wähler*innenstimmen als Dagobertshausen, und wie schnell aus einer „Potenzialfläche“ ein
bebautes Gebiet wird, konnten wir letztes Jahr bei Görzhausen III erleben. Die bürgerliche
Opposition unterstützte den Antrag, möchte den „Schaden für Dagobertshausen so gering wie
möglich halten“, hat aber nicht verraten, wie sie sich das vorstellt. Einem Offenbarungseid gleich
kam der Beitrag der Klimaliste: Angetreten für Klimaschutz und gegen weitere
Flächenversiegelung müsse sie „in der Regierung aber Widersprüche aushalten“. Wozu ständigesKrötenschlucken führt, kann man bei den Grünen besichtigen. Logischerweise lehnte außer uns
nur noch die Fraktion Die Linke den Antrag ab, so dass er mit Mehrheit beschlossen wurde.
Sanierungsstau an Schulen – Phantom oder Realität?
Alle Eltern schulpflichtiger Kinder haben dazu eine Meinung, aber natürlich auch die Fraktionen im
Stadtparlament. Die antragstellende CDU/FDP/BfM verwies auf viele Mängel und forderte mehr
Tempo. Für unsere Fraktion erinnerte Tanja Bauder-Wöhr an die noch nicht umgesetzten
Vorhaben aus Bildungsbauprogramm (BiBaP) I (eigentlich schon vor zwei Jahren beendet), die
Mängel an Schulen außerhalb von BiBaP II und verlangt, „endlich ins Machen zu kommen, Geld
könne ja nicht das Problem sein“. Hinlänglich sei bekannt, dass sich in manchen Schulen die
Fenster nicht öffnen ließen.
Die Koalition sah dagegen keinen Handlungsbedarf, alles was gefordert würde, werde ja schon
gemacht. Das sehen wir nicht so und haben daher als einzige neben der CDU/FDP/BfM-Fraktion
für diesen Antrag gestimmt, womit er abgelehnt war und die Sanierung wohl im bisherigen
Schneckentempo weitergehen wird.
Alternativen im ÖPNV zu BOB
Der Antrag der Fraktion Die Linke „Regio-Tram/Regio-S-Bahn für Mittelhessen – Visionen für
öffentliche Mobilität entwickeln“ griff eine alte Idee der Marburger Linken wieder auf. Jan
Schalauske skizzierte dementsprechend die Historie und verwies auf funktionierende Beispiele von
Karlsruhe bis Kassel. Der scheidende Verkehrsexperte der Grünen, Lukas Ramseier, fand
zumindest das S-Bahn-System „charmant“, gab aber diverse technische Probleme sowie hohe
(Folge-)Kosten zu bedenken. Der Oberbürgermeister und die CDU/FDP/BfM hielten dagegen,
dass das alles schon geprüft und als unrealistisch verworfen worden sei. Das BOB-System
hingegen werde finanziell gefördert und stehe schon kurz vor der Realisierung. Wir allerdings
finden nach wie vor unsere alte Idee gut, das vorhandene Schienennetz der Bahn für einen
Ausbau des ÖPNV zwischen Gießen und Marburg zu nutzen, etwa für eine Verbindung zwischen
den beiden Uni-Klinika, oder über eine Anbindung der Salzbödebahn, oder des Ebsdorfergrundes
nachzudenken. In der Debatte wiesen wir daraufhin, dass die mitregierenden Parteien SPD und
Grünen in Gießen die Regio-S-Bahn befürworten, also sich Marburg diesem Ansinnen
anschließen sollen, die Verkehrsteilnehmer würden es danken. Aber leider waren wir die einzigen,
die dem Linken-Antrag zustimmten, also ist er abgelehnt.
Haushaltsplanung und -umsetzung – ein schwieriges Unterfangen?!
Die letzte Aussprache galt einer Kenntnisnahme, nämlich dem Vollzug des Haushaltsplans 2023.
Wir erinnern uns: Ursprünglich geplant mit einem Ertrag von 461 Mio. Euro bei Ausgaben von 410
Mio. Euro (Überschuss 51 Mio.) überraschte der Kämmerer Dr. Thomas Spies im Frühjahr mit
einem Gewerbesteuereinbruch, der einen Nachtragshaushalt unabwendbar machte. Nun sollten
die Einnahmen nur noch kanpp 294 Mio. Euro betragen, die Ausgaben dagegen 391 Mio. Euro
(Defizit 97 Mio.). Im vorläufigen Endergebnis für 2023, bei dem – wie Andrea Suntheim-Pichler
ausführte – alle Buchungen bis Mitte Dezember eingeflossen sind, ergeben sich Einnahmen von
352 Mio. Euro und Ausgaben von 326 Mio. Euro, also ein Überschuss von 26,5 Mio. Euro. Fürdieses Zahlenwirrwarr gab es reichlich Kritik seitens der Opposition, insbesondere die
Ausgabenlücke stand im Zentrum. Wie schon die CDU/FDP/BfM-Fraktion kritisierte Anja MeierLercher die Investitionsplanung: Im Fachdienst Tiefbau stehen 38 Projekte mit 20,4 Mio. Euro
Volumen, ausgegeben wurden 8,7 Mio. Euro, 23 Projekte wurden überhaupt nicht begonnen,
bedeutet also 0 Euro Ausgaben! Ein ähnliches Bild beim Hochbau und dem Stadtgrün: Dort
wurden 19 Mio. geplante Euros nicht ausgegeben.
Tanja Bauder-Wöhr, Roland Böhm, Anja Kerstin Meier-Lercher, Inge Sturm, Dr. Michael Weber.