Bericht aus der Stadtverordnetenversammlung vom 14.06.2024

Ausbilden statt Abschieben


„Serhat, ein Marburger Schüler, wurde am Montag, den 03.06.2024 abgeschoben. In eine
Heimat, die unter anderem nach dem Erdbeben 2023 völlig zerstört ist. Ihm droht dort der
Militärdienst. Es ist zu befürchten, dass er nun gegen Menschen kämpfen muss, deren
Landsleute er in der Marburger Schule als Freund:innen gewonnen hat.
Mit Serhat wurde ein Mensch abgeschoben, der bereits innerhalb eines Jahres an einer
Marburger Schule so gut Deutsch gelernt hat, dass ein Marburger Maler- und Lackierbetrieb
nach einem Praktikum bereits zum 01.08.2023 eine Lehrstelle angeboten hat. Er hätte in
wenigen Monaten das zweite Lehrjahr beginnen können, sein eigenes Geld verdienen
können und Steuern gezahlt. In der Zwischenzeit findet die Firma keinen geeigneten Azubi.
Serhat konnte die Lehrstelle nicht antreten.
Wir sprechen uns mit diesem Antrag klar gegen die Entscheidung der Landesregierung zur
Abschiebung aus und wollen deutlich machen: Hervorragende schulische Leistungen,
Integrationswillen und eine Lehrstelle dürfen kein Aufnahmehemmnis sein – Ausbildung ist
wichtiger als Abschiebung!“ so begründete die Stadtverordnetenvorsteherin Elke Neuwohner
den gemeinsamen Antrag aller Stadtverordneten.
Friedliche Lösung in Nahost – sofortiger Waffenstillstand
Im Vorfeld gelang es nicht, auch hier große Einmütigkeit zu erzielen, obwohl vor wenigen
Tagen der Oberbürgermeister Thomas Spies bei der Demonstration, organisiert von
palästinensischen Familien aus Marburg, an die Menschlichkeit appellierte: „Menschlichkeit
schließt die Würde aller Menschen ein – die Würde der Menschen in Gaza werde nicht mehr
respektiert“. Unsere stellv. Fraktionsvorsitzende Anja Kerstin Meier-Lercher warb eindringlich
für die Zustimmung unseres Antrags „friedliche Lösung in Nahost – sofortiger
Waffenstillstand“, leider ohne Erfolg aber immerhin stimmte die SPD im Gegensatz der
restlichen Koalition für die Dringlichkeit.
Bürgerservice alá Thomas Spies – Das Aus der Verwaltungsaußenstellen Cappel,
Wehrda und Marbach
Einigkeit bestand bei der Opposition, sich weiter gegen die Schließung der
Verwaltungsaußenstellen zu stemmen. Roland Böhm äußerte sich, als Stadtverordneter und
Mitglied des Ortsbeirats Wehrda und selbst Betroffener: „Jetzt ist die Katze endlich aus dem
Sack! Was wir von Anfang an vermutet haben, bestätigt sich nun. Der Magistrat hatte wohl
nie beabsichtigt, die Verwaltungsaußenstellen wieder zu öffnen, er hat alle Versuche und
Zusicherungen offensichtlich gezielt ins Leere laufen lassen.“
Warum die Stadt Marburg derartig bürgerunfreundlich sowie gegen die Ziele von MoVe35
agiert und mit der Schließung der VWA das Leitbild der Stadtplanung „Stadt der kurzen
Wege“ faktisch aushebelt, ist völlig unverständlich.
Dass die betroffenen Bürger:innen und ihre Ortsbeiräte sehr wohl die Vorzüge ihrer VWA zu
schätzen wissen, zeigt der anhaltende und breite Widerstand, der ja auch zu einem
entsprechenden Stadtverordnetenbeschluss für die Wiedereröffnung geführt hat. Den der
Magistrat ebenso offensichtlich missachtet wie er sich weigert, die fast 1000 Unterschriften
aus Wehrda für den Erhalt der Verwaltungsaußenstelle entgegenzunehmen.
Kinder und Jugendparlament (KiJuPa) zu Gast in der StVV
Die neugewählten KiJuPa- Vorstandsmitglieder um Qays El-Hamdan und Charlotte Lenz
präsentierten einen Rückblick auf Veranstaltungen, Aktionen und Besuche. So organisiertedas KiJuPa wieder traditionell die Schulranzen-, Stolperstein- und WeihnachtkartenAktionen, außerdem organisierten sie eine Gedenkveranstaltung für Sinti und Roma,
beteiligte sich am „Lahn CleanUp“ und Treppenlauf, erhielt Besuch von Bundeskanzler Olaf
Scholz oder traf sich mit dem Bundestagsabgeordneten Sören Bartol in Berlin. „Wir haben
viele schöne Erinnerungen gesammelt, die uns unser ganzen Leben begleiten werden“,
fasste der stellvertretende Vorsitzende Qays El-Hamdan zusammen.
Prämienauslobung für freiwillige Autoabmeldung
Unter Federführung des Klimadezernenten Dr. Michael Kopatz beschließt die StVV mit
deutlicher Mehrheit, ein neues Anreizprogramm für den Umstieg auf umweltfreundliche
Mobilität aufzulegen. Ausgelobt werden 1250 Euro mit denen können Menschen in Marburg
ein Jahr lang Car-Sharing nutzen, auf Bus und Bahn – umsteigen zusätzlich erhält man noch
den Marburg Gutschein. Die Prämie bekommt, wer das eigene private Auto für mindestens
ein Jahr abmeldet oder abschafft. Für uns verdeutlichte Tanja Bauder-Wöhr, dass wir
Anreizschaffung zum freiwilligen Verzicht aufs eigene Auto begrüßen. Allerdings mindestens
ebenso wichtig wäre eine finanzielle Unterstützung für Menschen, die gar kein Auto fahren.
Menschen mit Einschränkungen oder ohne das nötige Kleingeld für ein Auto, haben das
Recht auf finanzielle Unterstützung bei der Mobilität. Diese Menschen werden bei der
Diskussion um Prämien und Anreize schnell vergessen und hätten einen Zuschuss für
nachhaltige Mobilität bitter nötig.
Spätestens seit den Mitte 70er Jahren wird in Deutschland durch Umweltverbände und linke
Organisationen die Verkehrswende diskutiert und gefordert. Damals wurden bereits Stimmen
laut nach ÖPNV Nulltarif – in Marburg gab es zahlreiche Anträge dazu, sogar positive
Beschlüsse und die finanzielle Bereitstellung – lediglich die Umsetzung des Nulltarifs blieb
man schuldig! Auch Car-Sharing ist keine neue Erfindung, diese Ideen stammen aus der
gleichen Zeit aus den gleichen Überlegungen heraus, auch damals wurde bereits erkannt,
dass das Waldsterben ein Problem ist, dass der CO-2 Ausstoß verringert werden muss, dass
es ein Plus an Lebensqualität für Städter ist, wenn weniger Lärm und Gestank durch die
Straßen rollen. Wer die jüngsten Resultate der EU-Wahl und vor Ort die Zustimmung bzw.
Ablehnungswerte zu MoVe35 anschaut, muss spätestens beim Stadtteil Richtsberg
erkennen, endlich etwas zur Verbesserung der Lebenssituation der dort lebenden Menschen
zu unternehmen. Auch sie wollen im Stadtteil Aufenthaltsqualität und gleichzeitig in die
Innenstadt durch gute Fuß-, Radwege und einer Busverbindung kommen die verlässlich und
attraktiv sind ohne permanente Überfüllung. Deshalb unterbreiteten wir folgenden Vorschlag:
alle volljährigen Personen, die in einem Kalenderjahr kein eigenes Auto besitzen, sollen
bedacht werden. Konkret soll pro Haushalt ohne Auto einmal jährlich für Erwachsene 1 000 €
und pro Kind 500 € ausgezahlt werden. Einfacher und gerechter wäre die Einführung des
ÖPNV Nulltarifs.
Ein erster Vorgeschmack wie weit die Meinungen zum abgelehnten Bürgerentscheid über
MoVe35 auseinandergehen verdeutlichte sich in der laufenden Debatte, vor allem wurde
nicht an gegenseitigen Schuldvorwürfen gespart. Aus unserer Sicht bleibt die wichtige
Erkenntniss man überzeugt durch Angebote, längst hätten Schnellbuslinien eingerichtet und
der Nulltarif im ÖPNV angeboten werden können.


Tanja Bauder-Wöhr, Roland Böhm, Anja Kerstin Meier-Lercher, Inge Sturm, Dr. Michael
Weber.

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