Frieden oder Krieg – diese Kernfrage dominiert selbstverständlich auch die
Kommunalpolitik.
Sei es die ausufernde Sicherheitsdebatte, die Frage nach einer Städtepartnerschaft mit einer
ukrainischen Stadt oder die entscheidende Frage überhaupt: Wer kommt für die
Milliardenzahlungen an Militärausgaben eigentlich auf?!
Stichwort fatale Infrastruktur, die privatisierte Post ist gefühlt alle paar Monate Thema in der
Stadtverordnetenversammlung, entweder weil die Briefe und Pakete nur unzureichend
zugestellt werden, weil die Mitarbeiter:innen miserable Arbeitsbedingungen und Entlohnung
vorfinden oder weil Filialen einfach geschlossen werden. Wie jüngst zum wiederholten Male
im mit 9.000 Menschen bevölkerungsreichsten Stadtteil Richtsberg geschehen. Man muss
wissen: laut Postgesetz ist eine Postfiliale ab 2.000 Einwohner verpflichtend. Das
Stadtparlament beschloss zum wiederholten Male einstimmig, sich mit Nachdruck für die
Umsetzung einzusetzen. Eingebracht hatte diesen dringlichen Antrag die Fraktion die Linke.
Ein weiteres Beispiel für katastrophale Auswirkungen neoliberaler Politik, die durch die
enormen Militärausgaben noch verheerender werden dürften und so den kommunalen,
sozialen und Umweltinteressen zuwiderlaufen, ist die Deutsche Bahn (DB). Die einst so
stolze und zuverlässige Deutsche Bahn – nur noch ein Schatten ihrer selbst, gar das Gespött
in ganz Europa, was während der in Deutschland ausgetragenen Fußball EM für alle Welt
sichtbar wurde. An dieser Stelle möchten wir keinen geringeren als EM-Turnierdirektor
Philipp Lahm, der aufgrund einer Zugverspätung mit der DB selbst zu spät kam, zu Wort
kommen lassen: „Ich glaube, wir haben es versäumt, insgesamt als Deutschland in den
letzten Jahrzehnten ein bisschen daran zu arbeiten an der Infrastruktur.“
Jedenfalls ist die Unistadt Marburg sukzessive seit Jahren immer mehr von schnellen,
attraktiven und zuverlässigen Verbindungen abgekoppelt worden. Neben der Infrastruktur
fehlt es überall an Personal, getreu der fatalen Logik; Durch Stellenstreichungen lässt sich
am meisten an Ausgaben einsparen und noch mehr Gewinn abschöpfen. In vielerlei Hinsicht
fatal, denn jetzt herrscht nicht nur allenthalben Personalmangel, sondern viele
Mitarbeiter:innen sind gesundheitlich ausgezehrt und überlastet. Dieses Phänomen finden
wir auch in der städtischen Verwaltung wieder, besonders verheerend: keine
Fachdienstleitung in der Ausländerbehörde und zusätzlich unbesetzte Stellen. Für
viele Migrant:innen bedeutet dies, sie bekommen derzeit kaum Termine bei der Behörde.
Deshalb fordern wir den Magistrat auf: „sicherzustellen, dass es wieder möglich ist, zeitnahe
Termine bei der Ausländerbehörde zu den Themen „Beratung, Aufenthaltstitel und
Arbeitserlaubnis“ buchen und erhalten zu können.“ Denn, so führt Anja Kerstin Meier-Lercher
aus, „sonst droht ein Aufenthaltstitel oder eine Arbeitserlaubnis abzulaufen. So empfinden
die Betroffenen Angst und Verzweiflung anlässlich der möglichen juristischen
Konsequenzen. Ebenso sind die Arbeitgeber hier vor Ort betroffen, die unter Druck geraten,
da sie nicht wissen, ob sie Ihre betroffenen Mitarbeiter:innen weiter einplanen können.“
Städtepartnerschaft – Friedenspreis
Über einen Offenen Brief an alle Fraktionen insistierte die Marburger Gruppierung
Zeitenwende um Hubert Kleinert, Marburg solle eine Städtepartnerschaft mit einer Stadt in
der Ukraine eingehen und prompt lag eine Magistratsvorlage vor. Tanja Bauder-Wöhr führte
aus: „Unsere Fraktion ist überzeugt davon, dass völkerverständigende Maßnahmen immersinnvoll sind.“ Tatsächlich stammt die Initiative, Städtepartnerschaften zu etablieren, aus
dem friedlichen Ansinnen, in Europa aufgerissene Wunden nach dem Zweiten Weltkrieg zu
heilen. In dieser Tradition sollte Marburg eine Städtepartnerschaft nicht nur mit einer Stadt in
der Ukraine, sondern eben auch mit einer russischen Stadt eingehen, um eben langfristig die
Wunden zu heilen, welche dieser Krieg aufgerissen hat. Wir wissen, dass in unserer
weltoffenen Stadt Marburg viele Nationen gut miteinander zusammenleben. Viele Menschen
bringen sich auf vielfältige Weise ein – sei es in der Musik, der Gastronomie, des Theaters,
im Sport oder in den städtischen Quartieren. Gleichzeitig warb sie für Zustimmung zu
unserem Antrag, Frieden zu schaffen und einen Marburger Friedenspreis einzuführen. Im
Antrag heißt es: „Wenn es in Marburg gelingen kann, ukrainische und russische Menschen
an einen Tisch zu bringen, die wenn möglich gemeinsam berichten, was sie bewogen hat,
gegen den Krieg aufzubegehren, können die daraus resultierenden Schlüsse hoffentlich zu
diplomatischen Lösungen und damit zu Frieden führen.“ Leider stimmten nur wir zu, die
großer Mehrheit lehnte es ab und die Linke enthielt sich.
In zahlreichen Städten gibt es Friedenspreise, nicht jedoch in Marburg. Jetzt könnte eine
Gelegenheit sein, einen Marburger-Friedenspreis einzurichten. Dazu sollte natürlich
zunächst eine Konzeption erarbeitet werden. In Frieden zu leben, ist der Wunsch der
Menschen. Und es ist die Pflicht der Politik, daran zu arbeiten. Diplomatie für den Frieden –
für den Frieden zu arbeiten – ist der vorgegebene Weg.
Es gibt keine Sicherheit, nur weil man Waffenverbotszonen errichtet!
Der Magistrat der Stadt Marburg legt ein umfangreiches Sicherheitskonzept vor, in dem vor
allem Prävention eine wichtige Rolle spielt. Das bürgerliche Lager hingegen setzt, wen
wundert es, auf Waffenverbotszonen. Ungleiche Verteilung von Reichtum, Ausgrenzung und
Isolation sind Faktoren, die in der Debatte um eine Sicherheitsdebatte mitbetrachtet werden
müssen, führt unsere stv. Fraktionsvorsitzende Anja Kerstin Meier-Lercher aus. „Besondere
Aufmerksamkeit muss Kindern und Jugendlichen zukommen, denn häufig sind sie
persönlicher Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten beraubt, sozial benachteiligt und in
Hinblick auf Bildung und Kultur, Wohlergehen und Gesundheit, Wohnen und Wohnumfeld,
Freizeit und Konsum unterversorgt, wenn sie in finanziell armen Familien aufwachsen.“
In einer Zeit, in der gesellschaftliche Rahmenbedingungen, (geringe) materielle Ressourcen
der Familie und (fehlende) Aufstiegsmöglichkeiten maßgeblich darüber mitentscheiden, ob
junge Menschen aggressiv, gewalttätig und straffällig werden oder nicht, gilt eine mehr als
150 Jahre alte Maxime weiterhin: Die beste Kriminalpolitik ist eine gute Sozialpolitik. So hatte
es bereits im späten 19. Jahrhundert der Strafrechtler Franz von Liszt formuliert. Ebenso wie
wir, die Marburger Linke & PIRATEN, argumentierte auch der Stadtverordnete Liban Farah
(SPD), der gleichzeitig darauf hinwies, dass es vorkomme, dass Waffenverbotszonen von
Behörden genutzt werden, um „Racial Profiling“ durchzuführen. Als „Racial Profiling“ wird die
Methode bezeichnet, das physische Erscheinungsbild, etwa Hautfarbe oder Gesichtszüge,
einer Person als Entscheidungsgrundlage für polizeiliche Maßnahmen wie
Personenkontrollen, Ermittlungen und Überwachungen heranzuziehen. Außerdem erinnerte
er die CDU an ihren eigenen Landtagswahlkampf von 2018, in dem sie selbst ein Kneipchen
(Messer) als Wahlgeschenk verteilte.
Es wurde hitzig, weshalb unsere Fraktionsvorsitzende Tanja Bauder-Wöhr versuchte, auf die
Sachebene zurückzukehren und mit einer persönlichen Betrachtungsweise klarzustellte
warum eine Waffenverbotszone auf keinen Fall zur Sicherheit beiträgt: „Feinmaschiges
Zaungitter steht hoch in den Himmel, Stacheldraht auf der Krone. Überwachungskameras
schwenken leise ihre Augen. Der Hof der Kulturbühne 2 (K2) ist eine der sichersten
Einfahrten Deutschlands. Eigentlich. Eine Justizvollzugsanstalt liegt direkt neben der Kneipemitten in der Innenstadt von Heidenheim. Aber Sicherheit ist nichts, um das man einen Zaun
bauen kann. An jenem Ort wurden am 19. Dezember 2003 drei junge Menschen Opfer einer
kaltblütigen Tat. Der Täter, ein 17 Jahre alter junger Mann, der seine rechtsradikalen
Ansichten nicht versteckt, der eine Stunde vor der Tat einen Platzverweis erteilt bekommt,
kommt zurück – zückt ein 20cm langes Messer und streckt seine Opfer durch gezielte
Messerstiche ins Herz nieder.
Waffenverbotszonen verhindern solche Taten nicht. Stattdessen müssen die Ursachen
bekämpft werden, soziale Ungleichheit beseitigt werden, wer in Kauf nimmt, dass Menschen
in Armut und Angst aufwachsen, somit vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen,
regelrecht isoliert werden, die Augen vor dieser Form der Gewalt verschließt, sogar lautstark
nach weiteren Kürzungen im sozialen Bereich schreit, der sollte sich nicht wundern, wenn er
mit den Früchten des Zorns konfrontiert wird.“
Ohne Moos nichts los – Nachtragshaushalt
Die Spatzen pfeifen es längst von Marburgs Dächern. Die Einnahmenrekordsummen aus der
Gewerbesteuer fallen wieder auf Normalmaß. Das bestätigt spätestens jetzt unsere
Meinung, dass eine Absenkung des Gewerbesteuerhebesatz nicht hätte stattfinden dürfen,
er muss mindestens wieder auf die vorherigen 400 Punkte angehoben werden. Wir wollen an
dieser Stelle nochmal verdeutlichen, warum wir im Dezember `21 aus voller Überzeugung
gegen eine Steuerabsenkung argumentierten: „Nein zur Absenkung des
Gewerbesteuerhebesatzes, die Gewinne von Biontech in Milliardenhöhe werden größtenteils
aus unserer aller Steuergelder und Krankenkassenbeiträge erzielt – in einer absoluten
Ausnahmesituation weltweit, in der viele Menschen um ihre finanzielle Existenz bangen,
muss man gerade diesem Unternehmen mit klarer Haltung begegnen, nicht noch
Steuergeschenke in Form von Absenkungen hinterherwerfen. Denn dies bedeutet einen
Rückschritt in einer Kernfrage, nämlich wie die Gewinne gesellschaftlich verteilt gehören. Mit
der Steuerabsenkung rollt man den falschen die roten Teppiche aus, anstatt die Gelder
gegen die Armutsbekämpfung einzusetzen, auch in Marburg gibt es Armut, die Zahl der
Menschen, die die Tafel aufsuchen, ist erschreckend hoch. Die Gelder müssen in die
städtischen Töchter fließen, um der Wohnungsfrage und Bezahlbarkeit des Wohnraums, was
zwischenzeitlich selbst für mittlere Einkommen zu einem Problem wird, entgegenzusteuern.
Und in die Sanierungen von städtischen Bildungseinrichtungen wie Kitas und Schulen. Last
but not least, jeder Euro, der jetzt in den Klimaschutz investiert wird, ist gut angelegtes Geld
für unser aller Zukunft. Die Erpressung von Biontech steht in diametralem Gegensatz zu
unserem Wahlprogramm. Unser „Markenkern“ ist seit vielen Jahren die Forderung,
gesellschaftlichen Reichtum von oben nach unten umzuverteilen.“
Es sei noch erwähnt, die Stadt Marburg führte aufgrund der Rekordgewinne einen
Masterfonds ein. Er umfasst ca. 500 Mio. €. Wir sind immer noch überzeugt, dieses Geld
gehört nicht an den Börsen verspekuliert, sondern verantwortungsbewusst und nachhaltig in
die die städtische Infrastruktur mit allem Drum und Dran investiert.
Eure Fraktion MarburgerLinke & PIRATEN
Tanja Bauder-Wöhr, Roland Böhm, Anja Kerstin Meier-Lercher, Inge Sturm, Dr. Michael
Weber.
Aus aktuellem Anlass und den fallenden Börsen ein Konstantin Wecker Lied:
Wenn die Börsianer tanzenHeben sie verzückt das Bein.
Lassen dann in den Bilanzen
Auch mal Fünfe grade sein.
Ihre spitzen Köpfe wackeln
Schwer gerötet aufs Parkett
Und gewisse Damen dackeln
Hinterher und sind sehr nett.
Manchmal nehmen sie ein Näschen,
Wenn der Kurs sie mal verkohlt
Mieten sich ein dralles Häschen
Das Ihnen den Arsch versohlt.
Denn dann scheisst sichs wieder besser
Auf den dummen Rest der Welt.
Ach schon immer lief ins Messer
Wers nicht mit den Siegern hält.
Ja sie spielen Gott und wir
kaufen wie die Lämmer fromm
zwar bankrott, doch voller Gier
Aktien der Telekom.
Manchmal springen sie aus Fenstern
Wenn der Dow Jones kräftig fällt
Dann gehörn sie den Gespenstern
Der Betrognen dieser Welt.
Meinetwegen solln sie springen.
Muss nicht nur ein Freitag sein.
Wünsche glückliches Gelingen
Und mir fällt ein Grablied ein:
Wenn die Börsianer tanzen…