Die bundesweiten Themen wie Krieg und Frieden, Ausgrenzung und Diskriminierung von Geflüchteten und Finanzen bestimmten auch die Aussprachen der jüngsten Stadtverordnetenversammlung. Gesetzt durch die Themen Einführung eines Veteranentags und Bezahlkarte für Geflüchtete anstelle von Bargeld.
Veteranentag oder Werben für Sterben
Zurückgehend auf einen Bundestagsbeschluss aus dem Frühjahr vergangenen Jahres, brachte die bürgerliche CDU/FDP/BFM Fraktion einen Antrag ein, auch in Marburg am 15. Juni einen Veteranentag ein- und durchzuführen. Unsere stellvertretende Fraktionsvorsitzende Anja Kerstin Meier-Lercher brachte unsere Haltung zu diesem Vorhaben ein:
„Ja, die Welt hat sich verändert, sie ist komplexer, konfrontativer und kriegerischer geworden. Das Recht des Stärkeren bestimmt zunehmend den Diskurs aller Seiten und die Agenda. Aber ist dies ein Naturphänomen, gewissermaßen nicht beeinflussbar, gar, nicht veränderungsfähig?
Wir sagen:“NEIN“.
Es ist die Haltung, die hier das „Sein“ bestimmt. In den Hochzeiten des Kalten Krieges gab es in der Bonner Republik den Willen zu Frieden und Verständigung, anstelle von Kriegstüchtigkeit und Aufrüstung. Diese Haltung führte zu Abrüstung und Entspannungspolitik. Keine Regierung zuvor hielt die Einführung eines Veteranentages in Deutschland für notwendig. Wer sein Gegenüber als Konkurrent und letztlich Feind begreift, kann nur im Konfliktmodus agieren!“ Außerdem fragte sie: „Was ist denn mit der Ehrung der Zivildienstleistenden? Derer, welche aus Gewissensgründen, völlig im Geiste unseres Grundgesetzes, den Wehrdienst verweigert haben? 2,7 Mio. Menschen haben in der Zeit von 1961 bis zur Abschaffung des Zivildienstes im Jahre 2011 in Krankenhäusern, Altenheimen und vielen anderen sozialen Organisationen, jeweils bis zu 20 Monate Ihren Dienst für unsere Gesellschaft geleistet. (Auch an Soldatinnen und Soldaten.) Oft unter schwierigsten Bedingungen. Die Betreuung und Pflege alter Menschen in Pflegeeinrichtungen war zeitweise ohne die „Zivis“ nicht mehr gewährleistet.“
Statt eines nationalen Veteranentags wäre der Opfer des deutschen Militarismus am 8. Mai zu gedenken. Eine deutsche Politik unter dem Motto „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ würde keine weiteren Toten und Versehrten mehr produzieren. Es bräuchte keine Aufrüstung und Kriegskredite. Geld wäre vorhanden, um geschädigte Soldaten und deren Opfer zu versorgen. Und für noch viel mehr.
Für uns gilt weiterhin, wie im Lied von Hannes Wader „Traum vom Frieden“ so treffend gesungen: Wohl jeder träumt den Traum vom Frieden und es kommt die Zeit Dann wird wie jeder Menschheitstraum der Frieden Wirklichkeit
Ich sah heut Nacht im Traum vor mir ein endlos weites Feld Millionen Menschen sah ich dort, aus allen Ländern der Welt Ich sah im Traum die ganze Menschheit einig und befreit Von Folter, Hass und Völkermord für jetzt und alle Zeit.
Die Bezahlkarte bedeutet nichts als Ärger, Kosten und Arbeit
Die Bezahlkarte bringt für viele Beteiligte nichts als eine Menge Ärger, Kosten und Arbeit im Alltag. Sie setzt geflüchtete Menschen vielfältigen Zumutungen aus, macht Einkäufe unmöglich oder umständlich, verursacht zusätzliche Gebühren, bringt drohende Verschuldung und nicht zuletzt Aufwand in den Behörden mit sich. Staatlich bezahlte Sozialarbeiter:innen müssen Fragen beantworten, Zahlungsprobleme lösen oder – datenschutzwidrig – private Überweisungsnummern einsammeln. Unser Mitglied im Sozialausschuss Roland Böhm führt in der Debatte folgerichtig aus: „Die unsinnige Bezahlkarte ist diskriminierend und verhindert Integration. Der hessische Weg mit max. 50 Euro Barauszahlung – maßgeblich verantwortet von einer SPD-Ministerin – ist absolut restriktiv, völlig willkürlich und für Leistungsberechtigte eine Niete im Lotteriespiel, welchem Bundesland sie zugewiesen werden. Daher stellen wir einen Ergänzungsantrag zum Antrag der Koalition, der die Forderung des Ausländerbeirats nach uneingeschränkter Bargeldabhebung und flächendeckender Nutzung der Bezahlkarte aufgreift.“ Glücklicherweise regt sich im ganzen Bundesgebiet Widerstand dagegen und zivilgesellschaftliche Initiativen an immer mehr Orten verhelfen Geflüchteten durch Tausch und Bargeld zum Notwendigsten, auch der politische Widerstand der Initiativen wächst. Nicht zuletzt beschäftigen sich auch die Verwaltungen mit den diskriminierenden Umständen einer Bezahlkarte. Neben kritischen Stimmen aus der Verwaltung haben sich z.B. Städte
wie Steinfurt oder Münster zum Nutzen der Bezahlkarte kritisch geäußert. Durch die Berücksichtigung von Einzelfallbedarfen wird der kommunale Aufwand noch ansteigen, statt zu entlasten.
Die einzigen Gewinner der Bezahlkarte sind die Kartenverkäufer und die Konzerne Visa Inc. oder MasterCard Inc.
Deshalb warb Roland Böhm eindringlich dafür, dass die Marburger Stadtverordneten: „Ein Zeichen setzen, hoffen, dass möglichst viele Kommunen ähnlich reagieren und dass die hessische Landesregierung zur Einsicht kommt, diese unsägliche Ausgestaltung der Bezahlkarte zu revidieren.“ Leider lehnte die Mehrheit sowohl unsere Ergänzung als auch den Antrag des Ausländerbeirats ab.
Photovoltaik-Anlagen als Einfallstor für Gewerbeerweiterung Görzhausen IV
Natürlich begrüßen wir es, die regenerative Stromerzeugung voranzubringen. Deshalb brachten wir vor kurzem auch erneut die Idee ein, Photovoltaik/(PV)-Anlagen auf Gebäuden zu intensivieren und die Anreizpolitik dafür mit gezielter Förderung auszubauen. Außerdem brachten wir die Idee ein, PV-Anlagen am Stempel, einer stillgelegten Mülldeponie, zu errichten. Tanja Bauder-Wöhr unterstrich, „in der Stadt muss das Ziel sein, auf allen möglichen Dächern, PV-Anlagen zu installieren. Auf brachliegenden Flächen sollen die Möglichkeiten auch maximal ausgenutzt werden, auf ungenutzten Außenflächen auch, aber dort gilt weiter der Vorrang für Nahrungsmittel-Produktion.“ Sie erinnerte an die Vorgaben der Stadt, dass Äcker mit guten, ertragreichen Böden daher vom PV-Plan ebenso auszuschließen seien, wie Hochwasserschutzgebiete, Natur-, Landschaft- und Forstflächen sowie mögliche Industrie-, Gewerbe- und Siedlungsflächen. Genau hier liegt jetzt aber der Hund begraben, denn vor wenigen Monaten lies der Oberbürgermeister in Windeseile verkünden, dass man Flächen, die bis ganz knapp an Dagobertshausen heranreichen, und bisher landwirtschaftlich genutzt werden, im Regionalplan als Gewerbe- und Industriefläche nachmelden wird. Ein doppelter Widerspruch des bestehenden Beschlusses also, den sowohl landwirtschaftlich genutzte Flächen sowie Gewerbeflächen sind als PV-Nutzung auszuschließen! Fakt ist, Marburg hat 2019 den Klimanotstand ausgerufen, aus unserer Sicht kann es kein ungebremstes Wachstum für die Pharmakonzerne geben, denn dies zöge ansonsten eine Reihe ökologischer und sozialer Folgen nach sich. Die PV-Anlagen sind aus unserer Sicht eine Beruhigungspille für die Bewohner:innen des kleinen aber beschaulichen Örtchen Dagobertshausen, denn wie sonst lässt es sich erklären, dass in der letzten Sitzung der Magistrat uns folgendes zur Kenntnis gab: „Die Universitätsstadt Marburg beauftragt die Stadtentwicklungsgesellschaft Marburg (SEG), die o.g. Fläche vom bisherigen Eigentümer im Rahmen der Bodenbevorratung zu erwerben und mit dem Pächter vertraglich ein Sonderkündigungsrecht für den Fall zu vereinbaren, dass die Stadtverordnetenversammlung die Fläche vor Ablauf der vereinbarten Nutzungsdauer als Erweiterungsfläche für den Pharmastandort umzunutzen beschließt. Die Universitätsstadt Marburg verpflichtet sich, für den Fall, dass die Stadtverordnetenversammlung eine Umnutzung der Fläche als Erweiterung für den Pharmastandort beschließt, entsprechende Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen, um eine dann mögliche Schadensersatzforderung zu begleichen.“
Deshalb wir bleiben konsequent, lassen uns keinen Sand in die Augen streuen und lehnen die Vorlage ab!
Tanja Bauder-Wöhr, Roland Böhm, Anja Kerstin Meier-Lercher, Inge Sturm, Dr. Michael Weber.
