Generaldebatte um den städtischen Haushalt
Trotz nie dagewesener Rekordgewinne an der Börse hört man nur was von Defizit, so auch in Marburg, sogar eine einmonatige Haushaltssperre ordnete der Kämmerer an, anstatt endlich die zur Kasse zu bitten, die Milliarden-Gewinne in den letzten Jahren eingestrichen haben! Denn wer im Dezember 2021 auf Bitten und Drängen durch BioNTech den Gewerbesteuerhebesatz absenkt, so in den letzten drei Jahren rund 90 Mio. € verschenken konnte, der sollte jetzt umgehend die Gewerbesteuer erhöhen und zwar auf mindestens den gesamtdeutschen Durchschnittswert von 435 Punkten. Es gilt weiterhin, „Reicher Mann und armer Mann standen da und sahn sich an. Und der Arme sagte bleich: Wär‘ ich nicht arm, wärst du nicht reich“ Bert Brecht.
Wir skizzieren unsere Ideen für ein lebens- und liebenswertes Marburg und was es dafür braucht:
Personalmangel aufheben – Umschulungs- und Qualifizierungsoffensive
Fachkräftemangel ist auch in der städtischen Verwaltung ein großes Problem. Viele unbesetzte Stellen, das zieht sich durch alle wichtigen Bereiche. Allein im Fachbereich Bauen sind über 40% der Stellen unbesetzt. Deshalb fordern wir eine Umschulungs- und Qualifizierungsoffensive. Dies gilt analog auch für Marburgs Töchter. Die Stadt Marburg hat neben ihrer Verwaltung auch städtische Unternehmen, neben Ausbildungsplätzen soll auch die Integration in den Arbeitsmarkt für internationale neu ankommende Menschen erleichtert und ermöglicht werden. Während junge Geflüchtete möglichst schnell die Kitas oder Schulen besuchen, soll sich die Stadt Marburg stark machen bei der Vermittlung in Ausbildungsbetriebe und vor allem der Anerkennung der beruflichen Qualifikationen.
Werkswohnungen als Anreiz
In fast allen Bereichen fehlt Personal, wir wollen deshalb ein Anreiz-, Verbund-Programm der Stadt Marburg mit der GeWoBau, es sollen so Werkswohnungen für Erzieher:innen, Gesundheitspfleger:innen, Busfahrer:innen und auch für Feuerwehrleute geschaffen werden. Vor allem die freiwillige Feuerwehr Mitte hat ein großes Problem, denn ihr ehrenamtliches Feuerwehrpersonal findet kaum Wohnungen, die den speziellen Anforderungen entsprechen.
Wohnungsoffensive für bezahlbares Wohnen
Die ständig steigenden Miet- wie Bodenpreise setzen viele Menschen in Marburg finanziell unter Druck. Im Kontext der Wohnungsfrage werden die großen Probleme unserer Zeit besonders offensichtlich. Dazu zählen soziale Probleme, wie Armut und fehlende Inklusion, aber auch ökologische Probleme, wie etwa der Klimawandel.
Da es die Stadt trotz wiederholter Mahnungen unterlassen hat, eine systematische Bodenbevorratung umzusetzen und der Bestand im öffentlichen Wohnungsbau bei weitem nicht ausreicht, um wenigstens etwas dämpfend auf den Wohnungsmarkt einzuwirken, ist an dieser Stelle ein konsequentes Umdenken dringend erforderlich.
Wohnen ist ein Grundbedürfnis der Menschen. Dieses Grundbedürfnis darf nicht den Anforderungen des Markts und den Vorstellungen von Spekulanten untergeordnet werden, die nur ein Ziel kennen: die Rendite. Wir sagen: Wohnen soll unsere Gemeinschaft stärken. Wohnen darf keine Ware sein. Wohnen bedeutet gesellschaftliche Teilhabe. Deshalb gehören Wohnungen in öffentliche Hand. Besonders irritierend, geradezu skandalös aus unserer Sicht, dass ein nur 8 Wohneinheiten umfassender Villenneubau „An der Haustatt“, in bester Marburger Lage „verkörpert Luxus und gehobenen Wohnkomfort“ (S+S Grundbesitz), genehmigt wurde und zwar ohne Auflagen für zusätzlichen geförderten Wohnraum. Da darf man schon fragen, ob das den sozial ökologischen Anforderungen entspricht, insbesondere für eine Klimanotstandkommune. Der Verkaufspreis beläuft sich übrigens auf 8000€/qm.
Verkehrswende durch Flaterate ÖPNV
Wer eine Verkehrswende hin zu mehr Rad-, Fuß- und Busverkehr will, und das wollen wir, der muss Angebote schaffen. An den Adventswochenenden verkehrt der Marburger ÖPNV bereits seit Jahren fahrscheinlos. Die Idee einer sozialen und klimagerechten Verkehrspolitik ist wahrlich nicht neu, nur ihre Umsetzung dauert ermüdend lang, dabei gäbe es nur Gewinner. Wer durch Marburg zuverlässig, schnell und nicht im Stau stehend vorankommt, ohne Verkehrsgestank und -lärm, noch dazu ohne sich Gedanken über ein Ticket machen zu müssen, der wird Marburg ganz neu lieben lernen.
Außerdem wollen wir das hessenweite Schülerticket für alle Marburger Schüler:innen, also auch für die, die bisher aufgrund der beschränkenden Kilometerregelung ausgeschlossen sind. Vor allem für ärmere Familien bedeutet dies, dass ihre Kinder und Jugendlichen nicht mit zur Klassenfahrt können, deren Ticket-Preis noch extra dazu käme, oder ein gemeinsamer Freunde-Ausflug für die Betroffenen nicht möglich ist.
Marburger Sozialfond
Die Einführung eines Marburger Sozialfonds, mit ihm fordern wir etwas völlig Neues, das es bisher in Marburg noch nicht gegeben hat. Mit 5 Mio. Euro soll der Fonds so groß sein, dass daraus unbürokratisch, flexibel und schnell verschiedenste Maßnahmen unterstützt bzw. angestoßen werden können: Mit Gutscheinen für energiesparende Geräte, der Verhinderung von Strom-, Gas- oder Wassersperren bis hin zu Wohnraumschutz soll einfach und schnell geholfen werden. Zudem ab dem 1.Januar 2025 nochmals massive Erhöhungen von Strom-, Gas- und Wasserpreisen auf die Marburger zu kommen werden.
Gesundheit im Quartier stärken – Quartiersarbeit ausbauen
Die Zunahme psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen ist erschreckend hoch, deshalb müssen begonnene Maßnahmen ausgebaut und neue Initiativen ergriffen werden, sowohl im KiTa-Bereich wie in der Schule. Deshalb fordern wir die weitere Integration von Sozialpädagogen und Sozialarbeit in den Schulen, dies würde übrigens auch die Lehrkräfte entlasten, deren Krankheitsstand stetig aufgrund Überbelastung zunimmt.
Wir wollen eine gesunde Stadt für alle, mit Beratung für alle.
Ein Team aus unterschiedlichen Gesundheitsberufen mit einem offenen Ohr für Patienten soll Aufklärung über Befunde und Therapien geben – auch in der jeweiligen Muttersprache, sozialarbeiterische Begleitung, Wege zu Gesundheitseinrichtungen, Spezialisten oder Therapieangeboten ebnen und begleiten, Orientierung im oft schwer durchschaubaren Dschungel zu geben und Menschen auf Augenhöhe zu begleiten. Denn Armut macht krank. Und Krankheit macht arm. Sie ist für viele Menschen in unserer Stadt täglicher Alltag, bittere Realität, schmerzende Ausgrenzungserfahrung. Krankheit und Kränkung liegen nicht nur sprachlich eng beisammen, sondern sie verschmelzen vielfach im Leben von Menschen, die mit einer Erkrankung oder multiplen Krankheitsbildern alleine sind – die durch soziale Hürden und Klassenschranken, aufgrund finanzieller Probleme, sprachlicher Barrieren oder mangelnder Begleitung nicht den Weg zu einer adäquaten Behandlung finden. Ob der Busfahrer oder die Krankenschwester, die nach jahrzehntelanger harter Arbeit chronische Rückenschmerzen haben. Für den einstigen „Gastarbeiter“, der sich auf Baustellen seinen Körper zerschunden hat. Für die Rentnerin, die nach dem Tod ihres Gatten an Einsamkeit und Depressionen leidet und zugleich von finanziellen Sorgen geplagt ist. Für den Studenten, der psychische Probleme hat und nicht weiß, wohin er sich wenden soll. Für geflüchtete Menschen, die ihre Heimat durch Krieg und Not verlassen mussten und sich schwer tun in einem ganz neuen, ganz anderen Umfeld zurechtzufinden, dafür müssen unsere Angebote erhalten und ausgebaut werden.
Photovoltaik-Flächennutzung optimieren
Der Klimanotstand erfordert eine massive Ausweitung der regenerativen Energieerzeugung. Photovoltaikanlagen bieten hier hervorragende Möglichkeiten. Das derzeitige Hauptproblem besteht in den zwar ausreichend vorhandenen geeigneten, aber bislang nur selten für Photovoltaikanlagen genutzten Flächen – vor allem im Bereich der privaten Bestandsbebauung.
Zur Lösung des Problems besteht das übliche Vorgehen in einer gesetzlichen Verpflichtung der Immobilieneigentümer zur Errichtung entsprechender Anlagen, was im Bereich von Neubauten auch vielerorts bereits praktiziert wird. In der Bestandsbebauung hingegen ergeben sich verschiedene Probleme. Viele Immobilienbesitzer sind der Errichtung von Photovoltaikanlagen gegenüber durchaus aufgeschlossen, aber finanziell oftmals schlicht nicht in der Lage, die entsprechenden Investitionen zu finanzieren, deshalb kann hier durch gezielte Fördermaßnahmen unterstützt werden.
Ein paar Schmankerl aus der Debatte:
Staunend hörten wir der Fraktionsvorsitzenden Sarah Kastner (Grüne) zu, die vor allem die Bedeutung von verlässlichen Investitionen in die städtische Infrastruktur unterstrich, insbesondere was Schulen und Kitas betrifft – stimmt, man fragt sich nur, warum diese Investitionen nicht längst in den letzten Jahren angegangen und umgesetzt wurden? Die unterlassenen Taten sprechen eine deutliche Sprache.
Die Redner:innen der Fraktion von CDU/BFM/FDP stimmen ihr bekanntes Lied des strukturellen Defizits an und fühlen sich in ihren Analysen der vergangenen Jahren bestätigt, widersprüchlich nur, dass sie dem Magistrat einerseits vorwerfen, fast nichts von den vollmundig angekündigten Geldern in reale Vorhaben umgesetzt zu haben, andererseits behaupten sie der Magistrat würde alles Geld verprassen. Einziger Änderungsantrag der CDU/BFM/FDP zum Haushalt ist übrigens recht fantasielos, es wird eine pauschale Kürzung über alle Positionen hinweg gefordert. Besonders unsozial – natürlich sollen die „freiwilligen Leistungen“ gestrichen werden, darunter fällt auch die Subventionierung für ein warmes Mittagessen an Marburgs Schulen, für manche Schüler die einzige warme Mahlzeit am Tag!
Tanja Bauder-Wöhr, Roland Böhm, Anja Kerstin Meier-Lercher, Inge Sturm, Dr. Michael Weber